neuerscheinungen magazin | 55 immer höher ein klangbuch franz hohler / gipfeltöner 2 cds, 91 minuten zytglogge verlag steinentorstrasse 11, ch-4010 basel ean 7611698043496 preis: 24 euro objets trouvés werke für akkordeon und zither viviane chassot, akkordeon; martin mallaun, zither genuin classics feuerbachstraße 7, d-04105 leipzig bestellnummer genuin 16439 preis: 18.90 € großartige fundstücke neue klänge von viviane chassot und martin mallaun uneingeschränkter hörgenuss franz hohler und die gipfeltöner steigen „immer höher“ die in zürich geborene viviane chassot und der aus tirol stammende martin mallaun arbeiten seit 2013 als künstler- duo zusammen. jetzt haben sie erstmals beim label genuin eine cd herausgebracht, auf der ein bunter reigen für ak- kordeon und zither bearbeiteter stücke aus vier jahrhun- derten unter dem etwas aus der mode gekommenen titel objekts trouvés für musikalisch stilistische abwechslung sorgt. varietas delectat, würde der lateiner etwas arrogant hinzufügen; und dennoch ist allen stücken eines gemein- sam: sie erheben nicht den anspruch allerhöchste kunst zu sein; sie wollen vielmehr auf subtile und intelligente weise unterhalten. gerade dieser umstand macht die cd zu einer kleinen kostbarkeit. stücke, die man in dogmatisierten kreisen der alt- und neuavantgarde nur hinter vorgehaltener hand liebgewinnen darf, da ihr anspruch nicht immer gleich die vorherrschende musikrichtung der nächsten 100 jahre si- chert. deshalb, so scheint es zumindest, ist der titel dieser cd von den künstlern sehr bewusst ausgewählt worden. fünf stücke aus györgy ligetis musica ricercata, die der komponist noch am konservatorium in budapest schrieb und später für bläserquintett einrichtete, erklingen hier so raffi niert gesetzt, als seien sie neukompositionen. ligeti wäre entzückt gewesen von der originaliät dieser klangver- bindung. auch die fünf stücke des meisters frühbarocker tränenfl uten, john dowland sowie die beiden musettes und die caprice la julliet des bedeutendsten vertreters der französischen barock-clavecinisten, francois couperin, sind weniger klassisch arrangiert, als in neobarocker far- benpracht übermalt. lediglich die chess pieces des amerikanischen enfant terrib- le der neuen musik und schreckgespenst für stockhausen, boulez & co., john cage leidet etwas unter der klangdichte. der berühmte libertango vom grand seigneur des tango nuevo, astor piazzolla und ein aus derselben feder stam- mender nuevotango erklingen teils mikrototal verfremdet, teils im klassisch sinnlichen tangosound, üppig, wolllüstig und fragil zugleich. unbedingt hörenswert. fredrik schwenk „dem berg, denke ich beim abstieg, dem berg ist es gleich- gültig, wie er genannt wird. er heisst nicht, er ist.“ so steht es im kargen inlay der 2016 im basler zytglogge verlag erschienenen cd mit dem titel immer höher. ähnliches könnte man auch über das alphorn schreiben. egal, wel- cher komponist sich daran versucht, es kommen immer die gleichen obertöne unten heraus. diese allerdings, von georg haider komponiert und von seinem bruder ulrich lu- penrein geblasen, sind besonders schön, zu schön vielleicht, wollte man einer textzeile glauben, wo es heißt: „so offen- bart sich (…) die ganze fülle der natürlichen pracht der töne, reibungen, schroffes, liebliches, erhabenes, chaos, ordnung – alles hat, wie in den bergen auch, seinen platz.“ dies trifft auch auf die texte von franz hohler zu: sie sind wie kristallklare skulpturen, zart und unerbittlich zugleich. vordergründig geht es um die beschreibung bedeutender gipfel in den hochländern dieser erde. hinter den perspek- tivischen beschreibungen, der sprache hochglänzender ge- birgsreiseführer oder anekdotischer erzählungen verbirgt sich beißende gesellschaftskritik, etwa in der geschichte über das agassizhorn, wo hohler den rassenwahn aufgreift und ihn der kalten schönheit vollendeter natur gleichnis- haft gegenüberstellt. oder die geschichte des weisshorns, wo jesus als sinnbild für die von menschen geschaffene ewigkeit „an einem aus rostfreiem eisen geschmiedeten kreuz“ hängt, um der gewaltigen natur zu trotzen. franz hohler, der schweizer schriftsteller, kabarettist und liedermacher, bannt den hörer mit seiner klaren stimme und dem unverkennbar schweizerischen akzent; seine tex- te mutieren dort wirkungsvoll zum melodram, wo georg haiders musik einen neuen blick ermöglicht. und es wirkt fast improvisatorisch, wie georg glasl an der zither, ulrich haider und michael büttler auf dem alphorn ins geschehen eingreifen, es musikalisch kommentieren, karikieren oder einfach nur lautmalerisch unterlegen. immer höher ist ein uneingeschränkt empfehlenswerter genuss und eines der wenig wirklich überzeugenden for- mate, in denen prosatexte und musikbeiträge einander symbiotisch ergänzen. fredrik schwenk